Tragische Zugunglücke, wie vor kurzem in Baden-Württemberg geschehen, die durch unvorhersehbare Ereignisse wie Hangrutsche und Steinschläge ausgelöst werden, führen uns immer wieder die Schwachstellen im Sicherheitsnetz der Bahn vor Augen. Solche Vorfälle, bei denen tonnenschwere Gesteinsmassen und Erdreich plötzlich auf die Gleise gelangen, stellen eine immense Gefahr für den Schienenverkehr dar. Während fest installierte Überwachungssysteme oft nur punktuell eingesetzt werden und ein flächendeckendes Sensorsystem für das gesamte Streckennetz der Bahn wirtschaftlich und technisch kaum realisierbar wäre, rückt eine innovative und mobile Lösung in den Fokus: ein autonomes "Vorhut"-Fahrzeug „Track Ahead Monitor (TAM)“.
Dieses Konzept bietet einen gezielten Schutz, indem es Züge vorausschauend auf erfolgte Steinschläge oder Hangrutsche auf der Strecke aufmerksam macht und so die Sicherheit revolutionieren könnte.
Autonomes "Vorhut"-Fahrzeug: Frühwarnung vor Gefahren
Die Hauptfunktion eines autonomen "Vorhut"-Fahrzeugs für die Bahn liegt in der Detektion von bereits erfolgten Steinschlägen oder Hangrutschen, die Hindernisse auf den Gleisen hinterlassen haben. Es geht nicht darum, den unmittelbar stattfindenden Erdrutsch zu erkennen, sondern darum, dessen gefährliche Hinterlassenschaften rechtzeitig zu orten, bevor ein Zug sie erreicht.
Das Prinzip der Vorab-Erkennung
Das System agiert hier als präventive mobile Aufklärungseinheit. Während stationäre Sensoren an bestimmten Gefahrenstellen nur bedingt flächendeckend und kosteneffizient installiert werden können, bietet das Vorhut-Fahrzeug eine dynamische Überwachung des jeweils relevanten Streckenabschnitts. Es ist darauf ausgelegt, alle Arten von Material (Steine, Erdreich, umgestürzte Bäume etc.), die durch einen Hangrutsch oder Steinschlag auf die Gleise gelangt sind, zu identifizieren. Der TAM soll eine autonom arbeitende Einheit sein. Entsprechende Entwicklungen können genutzt werden.
Technologische Schwerpunkte für die Detektion:
Die Sensoren auf dem autonomen Fahrzeug sind darauf optimiert, materielle Hindernisse auf dem Gleisbett zu erkennen:
· Lidar und Radar: Diese Technologien sind ideal, um die genaue Position und Größe von Objekten auf und neben den Gleisen zu bestimmen. Sie können auch bei schlechten Sichtverhältnissen zuverlässig arbeiten und liefern ein präzises 3D-Modell der Umgebung, das Abweichungen sofort erkennbar macht. Ein einzelner größerer Stein oder eine Ansammlung von kleineren Steinen können so schnell erfasst werden.
· Hochauflösende Kameras (visuell und thermisch): Visuelle Kameras liefern detaillierte Bilder zur Klassifizierung der Hindernisse. Thermische Kameras können Temperaturunterschiede erkennen, die auf neu abgelagertes Material (das sich anders aufheizt/abkühlt als die Umgebung) oder auf umgestürzte Bäume hindeuten.
· Künstliche Intelligenz (KI): Die KI-Systeme an Bord des Fahrzeugs werden trainiert, um spezifische Muster von Steinschlägen und Erdrutschen auf den Gleisen zu erkennen. Sie filtern irrelevante Objekte heraus und können die Dringlichkeit einer Gefahr beurteilen.
Vorteile dieses Ansatzes:
· Zielgerichtete Überwachung: Statt das gesamte Bahnnetz permanent zu überwachen, konzentriert sich die Detektion auf den unmittelbar relevanten Abschnitt vor dem fahrenden Zug.
· Kosteneffizienz: Potenziell deutlich günstiger als der Aufbau und die Wartung eines flächendeckenden, fest installierten Sensorsystems, da die Fahrzeuge dynamisch eingesetzt werden könnten.
· Verbesserte Sicherheit: Ermöglicht die rechtzeitige Erkennung von Hindernissen, die der Lokführer sonst nicht oder zu spät sehen würde, was schwere Unfälle verhindern kann.
· Unabhängigkeit von Witterung: Moderne Sensorik ermöglicht eine zuverlässige Funktion auch bei widrigen Sichtverhältnissen.
Herausforderungen und nächste Schritte:
Obwohl das Konzept vielversprechend ist, birgt es auch einige technologische und operative Herausforderungen:
· Energieversorgung: Eine Schlüsselfrage ist, wie das autonome Fahrzeug über längere Strecken zuverlässig mit Energie versorgt wird – sei es durch leistungsfähige Batterien, Solarenergie oder die Integration von Induktionsschleifen im Gleisbett.
· Spurführung und Weichen: Das Vorhut-Fahrzeug muss in der Lage sein, autonom und sicher über Weichen und Signalbereiche zu navigieren, analog zu den Abläufen normaler Züge.
· Redundanz und Ausfallsicherheit: Es bedarf klarer Protokolle und möglicherweise eines redundanten Systems, um Ausfälle des autonomen Fahrzeugs oder nicht erkannte Hindernisse abzufangen und die Sicherheit jederzeit zu gewährleisten.
· Zulassung und Integration: Die Integration eines solchen innovativen Systems in das bestehende, hochregulierte Bahnsystem ist ein enormer und komplexer Prozess, der eine enge Zusammenarbeit mit den zuständigen Behörden erfordert.
· Geschwindigkeit und Bremswegberechnung: Die präzise und dynamische Berechnung des Bremswegs in Echtzeit unter allen erdenklichen Bedingungen ist komplex, aber absolut entscheidend für die Effektivität und Sicherheit des Systems.
Ein umfassendes Sicherheitsschild für den Schienenverkehr
Das Konzept eines autonomen Vorhut-Fahrzeugs entfaltet seine wahre Stärke in seiner vielseitigen Anwendbarkeit. Es schützt nicht nur vor den Folgen von Naturereignissen wie Geröll, Schotter oder umgestürzten Bäumen, sondern kann die Sicherheit der Bahn auch auf eine neue Ebene heben, indem es ein umfassendes Sicherheitsschild bildet. Die hochentwickelten Sensoren und die KI sind ebenso in der Lage, Personen oder Fahrzeuge zu erkennen, die sich unbefugt auf den Gleisen oder an Bahnübergängen befinden. In einem extremen, aber denkbaren Fall könnte das System sogar einen entgegenkommenden Zug erkennen, der durch ein fehlerhaftes Signalsystem oder menschliches Versagen auf demselben Gleis fährt. Damit wäre das autonome Vorhut-Fahrzeug nicht nur ein Werkzeug zur Abwehr von Gefahren durch die Umgebung, sondern ein universelles Frühwarnsystem, das potenziell alle Arten von Hindernissen auf der Strecke erfasst und so das Risiko von Zugunglücken signifikant minimieren kann.
Eine Fülle von Ideen zum Thema liegt vor.
Einladung zur Diskussion
Der hier vorgestellte Beitrag soll eine Diskussion anstoßen und als Brainstorming für alle kreativen Köpfe dienen, die an der Zukunft der Bahnsicherheit mitwirken wollen. Es wäre ein großer Erfolg, wenn dieses Konzept in den verantwortlichen Organisationseinheiten der Bahn aufgegriffen und weitergedacht würde.
Interessierte sind herzlich eingeladen, die Diskussion aufzugreifen, Kritik zu üben, die Herausforderungen zu beleuchten oder eigene Ideen einzubringen. Für Diskussionsbeiträge ist Norbert Schiefelbein dankbar.