zum Content

Zwei Jahre Erhebungserlass NRW (ErhE) – eine Zwischenbilanz vom 5. November 2019

Ein Katasterthema und ein volles Haus wiederlegt die häufig gehörte Meinung, damit lockt man keine Besucher zu einem VDV-Abend. Dipl.-Ing. Philipp Steinrücken, Regierungsvermessungsdirektor bei der Bezirksregierung Köln, war der Referent des Abends mit dem Thema „Zwei Jahre Erhebungserlass (ErhE) in NRW – eine Zwischenbilanz“. Er gehörte vier Jahre zur Arbeitsgruppe ErhE und war somit ein kompetenter Kenner der Entstehung des Erlasses.

Das Liegenschaftskataster in NRW wird von den Katasterämtern, die in kreisfreien Städten der Stadtverwaltung und in kreisangehörigen Städten und Gemeinden der Kreisverwaltung zugeordnet sind, geführt. Das Liegenschaftskataster hat vor allem die Aufgabe, den gesamten Grundstücksbestand einer Gemeinde, Stadt oder eines Kreises in Buch- und Kartenform nachzuweisen. Die Führung und Fortführung des Liegenschaftskatasters ist eine hoheitliche Tätigkeit und die verwendeten bzw. erzeugten Unterlagen haben Urkundscharakter.

Der eigentumsrechtliche Nachweis an Grund und Boden wird im Grundbuch geführt. Der Ursprung des heutigen Liegenschaftskatasters liegt im Steuerkataster. Der Sinn und Inhalt des Steuerkatasters war die Dokumentation von Grund und Bodens, um diesen dann mit einer Steuer belegen zu können.

Die Franzosen unter Napoleon lieferten den Preußen hierfür die Vorlage. Im 18. Jhd. erfolgte die Urmessung/Ersterfassung des Grund und Bodens, die bis heute Bestandteil des Zahlenwerks und für eine Fortführungsvermessung im Liegenschaftskataster relevant sein kann. Das Regelwerk für diese Aufgabe war in Gesetzen, Verordnungen, Erlassen und Vorschriften verankert. Über Jahre, Jahrzehnte und wahrscheinlich fast Jahrhunderte haben sich diese ‚Katastervorschriften‘ entwickelt oder wurden angepasst. Vielen Kollegen sind von der Lehrzeit bzw. vom Studium her die Vorschriften wie z. B. Fortführungsanweisung II, Zeichenvorschrift-Riss, Fortführungserlass, Deutsche Grundkarte 1 : 5000, u.v.a.m. bekannt.

Durch die Entwicklung und Anwendung computergestützter Vermessungsverfahren, -anwendungen, -auswertungen und -dokumentationen in den letzten Jahrzehnten und auch angesichts der bis dato doch nur zaghaft angepassten „Katastervorschriften“, die zudem noch sehr zahlreich waren, fasste das zuständige Referat im Innenministerium des Landes NRW den Beschluss, einen allumfassenden und ersetzenden Erlass für die Liegenschafts- und Landesvermessung auf den Weg zu bringen. Da das Erheben von Daten heute ein gängiger und allgemein bekannter Begriff und Vorgang in vielen Bereichen des täglichen Lebens ist, hat der neue Erlass die Bezeichnung „Erhebungserlass NRW (ErhE)“ bekommen.

Nach ca. 4-jähriger Zusammenarbeit mit Kompetenzen aus allen Bereichen des Katasterwesens wurde am 15. September 2017 der Runderlass „Erhebung der Geobasisdaten des amtlichen Vermessungswesens in Nordrhein-Westfalen – Erhebungserlass (ErhE)“ durch das Ministerium des Innern in Kraft gesetzt.

Jetzt gut zwei Jahre weiter zog der Referent des Abends, der den Entstehungsprozess des ErhE begleitet hat, an dem Abend vor zahlreichen Mitgliedern des VDV-Bezirks Bonn und Gästen, ÖbVIs und deren Mitarbeitern sowie Kollegen aus den Katasterämtern, über Anwendungen und Erfahrungen mit dem ErhE eine erste Zwischenbilanz.

Zuerst zu den angesprochenen bzw. erwähnten Neuerungen im ErhE:

  • Unterstützung und Vervollständigung des Koordinatenkatasters (Koka). Die Ergebnisse aus einer Liegenschaftsvermessung sind als hochgenaue Koordinatenwerte (Katastergenauigkeit) im UTM (Universal Transverse Mercator) System dem Katasteramt zur Übernahme einzureichen. Das sind vor allem Koordinatenwerte für Vermessungspunkte, Grenzpunkte und Gebäudepunkte. Das sei hier auch noch erwähnt, die Umstellung des Koordinatensystems Gauß-Krüger auf UTM ist bereits seit fast 10 Jahren bei allen Katasterämtern in NRW vollzogen.
  • Sämtliche Ergebnisse einer Liegenschaftsvermessung sind nach der Auswertung einer Ausgleichungsrechnung zu unterziehen. Die Ergebnisse und Protokolle der Ausgleichungsrechnung vereinfachen das Prüfverfahren der eingereichten Messungen in den Übernahmestellen der Katasterämter. Sämtliche Softwarehersteller, die Berechnungsprogramme für die Auswertung von Liegenschaftsvermessungen anbieten, haben mittlerweile ihre Programme um die Ausgleichungsberechnung erweitert.
  • Im Falle z. B. einer Teilungsvermessung entfällt für den ÖbVI die Flächenberechnung des Trennstücks/Reststücks. Nach der Übernahme durch das Katasteramt wird die Flächenberechnung aus den gelieferten Koordinatenwerten von Amts wegen durchgeführt. Diese Regelung könnte den ÖbVI in Bedrängnis bringen, wenn der Auftraggeber vorab, z. B. bei Grundstücksverkauf, eine Flächengröße benötigt. Dann könnte er nur mit einer ca. Größe arbeiten.
  • H-Lösung bei Grundstücksteilungen. Um die Kosten und den Aufwand der örtlichen Vermessungsarbeiten überschaubar zu halten, sollen nur noch die Grenzpunkte einer Grenzuntersuchung unterzogen werden, zwischen denen die neue Grenze eingebunden wird. Verläuft die neue Grenze auf einen alten Grenzpunkt, ist nur dieser zu untersuchen. Wenn der Auftraggeber eine komplette Grenzvermessung/Grenzuntersuchung wünscht, wäre das mit Mehrkosten verbunden.
  • Eine Gebäudeeinmessung erfolgt grundsätzlich weiter mit Bezug zur Grenze – allerdings kann unter bestimmten Voraussetzungen darauf verzichtet werden, z. B. sofern das einzumessende Gebäude auf ein bereits hochgenau bestimmtes Gebäude bezogen werden kann. Zu diesem Thema ist die Diskussion aber noch nicht ganz am Ende: Sowohl die Einmessungspflicht für bestimmte Gebäude als auch der Grenzbezug in Gänze befindet sich derzeit auf dem Prüfstand. Dass Ingenieurbüros hier immer noch nicht einbezogen sind, muss auf der Ebene der Berufsverbände geregelt werden.
  • Die verwendeten Messinstrumente müssen neben der jährlichen Herstellerinspektion auch einem Prüfverfahren – bisher Messstrecke z. B. in Köln-Dünnwald – auf einem amtlichen Prüffeld ihre Messgenauigkeit nachweisen. Die Messanordnung hat sich von einer Streckenmessung – in Köln-Dünnwald mit sieben Betonpfeilern – in eine Messung wie in der Praxis (freie Stationierung) verändert.
  • Die Pflege der APs (Aufnahmepunkte) obliegt den Katasterämtern. Durch moderne Verfahren, die GNSS-gestützt und mit SAPOS angewendet werden, ist diese Pflege in weiten Teilen nicht mehr erforderlich. Referenzpunkte, die landesweit verteilt sind, ermöglichen in Verbindung mit Navstar GPS, GLONASS und Galileo eine hochgenaue Punktbestimmung im ETRS89 und macht die alten Netze weitestgehend überflüssig.

Die Anzahl, die Reihenfolge und vielleicht auch die Wichtigkeit der Neuerungen im ErhE konnten sicherlich an diesem Abend nicht alle wiedergegeben werden. Der Referent hat aber einen guten Überblick vermittelt und erreicht, dass viele Fragen gestellt und diskutiert wurden. Das Kollegen aus unterschiedlichen Lagern, Vertreter aus den Ämtern, Kollegen aus den Büros der ÖbVIs, Kollegen aus Ingenieursbüros und inaktive Kollegen, anwesend waren, machte einen interessanten Meinungsaustausch möglich. Schließlich hatten oder haben Alle ihre Erfahrungen im Liegenschaftskataster gemacht.

Einen interessanten und für andere Katasterdienststellen sicherlich nachahmenswerten Aspekt brachte ein Sachgebietsleiter des Rhein-Sieg-Kreises, in die Diskussion, als er erklärte, dass eine verständnisvolle Zusammenarbeit bei der Mängelbehebung Voraussetzung ist. So wird im Rhein-Sieg-Kreis einem Büro z. B. mitgeteilt, dass ein Mangel vom Katasteramt bereits behoben wurde, aber in Zukunft die anzuwendende Vorschrift zu beachten sei.  
Durch die Nähe der Zuhörer zur aufsichtspflichtigen Behörde von Philipp Steinrücken – Katasterämter und ÖbVIs – war der Austausch der Meinungen von besonderer Bedeutung und sehr sachlich.

Fazit und Zwischenbilanz des Referenten:
Die neue „Vorschrift“ ist akzeptiert. Die Umstellung und das Beachten fordert seine Zeit. Viele Fragen werden innerhalb der Ämter und Büros diskutiert und erledigt. Ist keine einhellige Auffassung zwischen der Vermessungsstelle und der Übernahmestelle zu erreichen, dann ist die Aufsichtsbehörde bei der Bezirksregierung, Ansprechpartner z. B. Philipp Steinrücken, anzusprechen und eine Einigung ist herbeizuführen. Sollte in so einem Falle die neue „Vorschrift“ eine Schwachstelle zeigen, dann wird diese in einer Mängelliste festgehalten und bei späterer Gelegenheit im zuständigen Referat des IM NRW angepasst. Denn der ErhE muss noch nicht seine endgültige Form gefunden haben. Er muss noch erweitert um die Vorschrift ZV-Riss, aber vielleicht auch um Regelungen zur Einsetzbarkeit der Messverfahren mit einem Laserscanner oder einer Drohne.

Es war auch für „Nicht-Katasterkollegen“ ein spannender Abend, der durch die Diskussionsthemen nicht eine Minute Langeweile aufkommen ließ. Er hat viel mehr gebracht als erwartet.

Text: Wilhelm Stricker