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Impressionen

Laudatio des VDV-Präsidenten Dipl.-Ing. Wilfried Grunau anlässlich der Überreichung des Goldenen Lotes an Michael McKay

Köln, 29.Oktober 2004

- Es gilt das gesprochene Wort -

Wie sehen wir Ingenieure uns in der Gesellschaft, wie sieht die Gesellschaft uns und warum gerade so? Wir Ingenieure sind sicherlich Menschen, die durch ihre Arbeitsweise geprägt werden. Wir analysieren nüchtern Fakten und auch komplizierte Sachverhalte, durchdenken sie und stellen, wo notwendig, zusätzliche Untersuchungen an. Auf diesem Weg gelangen wir schließlich zu Lösungen von Aufgaben, die uns gestellt worden sind.

Die Aufgabe für mich als Vorjahrespreisträger heute Abend: Die Laudatio auf den Preisträger des Goldenen Lotes 2004, Herrn Michael McKay. Als Ingenieur bin ich also genau in der soeben beschriebenen Art und Weise an diese Aufgabe herangegangen: ich habe zunächst die Fakten analysiert und komplizierte Sachverhalte, z.B. über die Arbeit von Herrn McKay, durchdacht und, wo notwendig, zusätzliche Untersuchungen angestellt. Das ganze möchte ich nun in zwei bis drei Sätzen - vielleicht auch ein paar mehr - darstellen:

Beginnen wir also zunächst mit einigen Fakten:
Michael McKay ist Jahrgang 1956 und in Irland geboren. Er hat dort studiert und 1979 seinen ersten universitären Abschluss, den Bachelor of Science mit einer Spezialisierung in Luftfahrttechnik gemacht (B.Sc. Honours Degree in Aeronautical Engineering). Mr. McKay ist verheiratet, hat 3 Kinder, seine Hobbies sind u.a. segeln, surfen und tauchen.

Nach seinem Studium zog er nach Holland und begann dort bei der European Space Agency (ESA) seine berufliche Laufbahn. Die Arbeitsbereiche dort waren die kosmische Strahlenphysik: er analysierte Daten von der internationalen Sun-Earth Explorer 3-Mission, also eines wissenschaftlichen Programms, dass sich mit der Wechselwirkung Sonne-Erde befasst hat. Er schrieb Software, durch die er in der Lage war, Datenanalysen zur Verbindung von Sonneneruptionen und magnetosphärischen Phänomenen abzuleiten. Resultierend aus dieser Arbeit erhielt er 1980 den nächsten wissenschaftlichen Grad, den "Master of Science" im Bereich Informatik.

Herr McKay blieb in Holland als sog. "resident science fellow" und arbeitete dort an der astronomischen Röntgenstrahlen-Mission EXOSAT. Er war involviert in Tests und Kalibrierungen von Niedrigenergie-Röntgen-Teleskopen und Mittelenergie-Röntgen- Detektoren. Er entwarf und entwickelte das Planungssystem für sämtliche diese Mission betreffenden Aktionen. Sein Computerprogramm optimierte mit einer Art künstlicher Intelligenz, so würden wir es heute nennen, automatisch die Sequenz des Satellitenbetriebs und der Ausrichtung zu den Sternen; das ersparte zum einen Treibstoff und Zeit und erhöhte zum anderen die Laufzeit der Projekte.

Und, meine Damen und Herren, wir wollen uns erinnern: das war Anfang der 80er Jahre. Die Computertechnik war bei weitem nicht so entwickelt wie heute. Programme wurden damals mit ganz anderen Mitteln erstellt; Lochkarten waren gang und gäbe und die Rechner waren wohl auch wesentlich langsamer und bei weitem nicht so leistungsstark, dafür aber etwas größer.

Als Mitglied des wissenschaftlichen Teams kam Herr McKay dann 1982 nach Deutschland, genauer gesagt nach Darmstadt, zum Europäischen Satellitenkontrollsystem (ESOC). Nach dem gelungenen Start von EXOSAT war er verantwortlich für die Projektplanung und die präzise Messung von Sternen und Galaxien, die Millionen von Lichtjahren entfernt sind.

Meinen Damen und Herren, erlauben Sie mir an dieser Stelle einen kleinen Exkurs: Von Irland, der Heimat unseres Preisträgers bis in den grenzenlosen Weltraum.

Was wissen wir, Sie und ich, eigentlich über Irland?

Nun, es ist ein wunderbares Land, oft auch als grüne Insel bezeichnet, mit sympathischen Menschen, einer großartigen Kultur, vollmundigem Guiness, gutem Whisky und einer Literatur, die ihresgleichen sucht.
Wer kennt nicht den Mann, der durch »Ulysses«, den Jahrhundertroman von James Joyce, unsterblich wurde: Leopold Bloom, der Annoncenakquisiteur - heute würde man sagen: Mitarbeiter der Anzeigenabteilung - Leopold Bloom also, der vor 100 Jahren am 16. Juni 1904 durch Dublin streift. Noch heute gilt: wer Dublin betritt, betritt Ulysses und man begibt sich in die Phantasie von James Joyce. Allein der Wortschatz dieses 1.000-Seiten-Romans umfasst nahezu 30.000 verschiedene Wörter; dies entspricht ungefähr dem Wortschatz Goethes. Eine ungeheure Leistung. Ich werde übrigens nachher noch einmal wieder auf die Sprache bzw. auch Sprachlosigkeit zurückkommen.

Wir alle kennen Irland aber auch als ein Land, in dem eine Grenze heftig umkämpft wurde. Welche Funktion haben Grenzen normalerweise? Für uns als Geodäten mehr eine Fachfrage. Grenzen strukturieren. Sie geben vor allem der politischen Landkarte eine Struktur. Es gibt auf der Landmasse der Erde zwischen den Staaten, rechtlich gesehen, kein Niemandsland mehr. Dort verlaufen nur noch Grenzen. Sie trennen erst einmal - je nach Region, je nach politischer Situation mehr oder weniger grob - zwei Völker, zwei Länder, zwei Sprachen, oft auch ein Volk, ein Land, bisweilen sogar ein Dorf oder ein Haus.

Manchmal ist das absurd, manchmal erschreckend, oft tragisch, manchmal einfach sicherer - fast immer aber ist es auch faszinierend. Vielleicht liegt das daran, dass Grenzen Anfang und Ende zugleich darstellen.

Manche politische Grenzen sind im Verschwinden begriffen: In vielen Staaten der EU ist das derzeit der Fall. Vielleicht verblassen sie irgendwann sogar ganz. Selbst wenn Staatsgrenzen durchlässig werden und ihre politische Funktion langsam verlieren, wird etwas lange bleiben: Grenzen sind, auch wenn sie nicht immer die Trennschärfe politischer Demarkationslinien besitzen, aus historischen Gründen meist mehrdimensional. Sie teilen Sprachräume, sie teilen Religionsräume; und stabilisieren sie manchmal dadurch - aber eben nicht immer. Grenzen sollen Konflikte verhindern; gleichzeitig sind sie aber auch immer wieder Konfliktorte, weil sie Anknüpfungspunkte sind: für Überschreitungen und Auseinandersetzungen, für Neuanfänge und Melangen.

Insgesamt erscheint mir die Rede vom Verschwinden der Grenzen in vielerlei Hinsicht manchmal doch zweifelhaft. Denn neben der wechselseitigen Bedingtheit von Grenzöffnung und -schließung tragen Grenzen auch grundsätzlich die Ambivalenz von Eingrenzung einerseits und Ab- beziehungsweise Ausgrenzung andererseits in sich. Herr Gauck hat uns dies vor einem Jahr in seinem Vortrag plastisch dargestellt: Eingrenzung rekurriert auf das Eigene, auf "Wir Hier", auf Zugehörigkeitsgefühl, Vertraut- und Geborgenheit. Abgrenzung hingegen verweist auf das Fremde von "drüben", auf das Andere. Diese Ambivalenz von Grenzen ist ein wichtiger, wenn auch selten bewusster Ordnungsrahmen, der als konstitutives Element von Identität fungiert.
Es gibt keine natürlichen Grenzen - das bedarf bei der Frage nach nationalen Grenzen zunächst keiner weiteren Erklärung, denn auch die sogenannten "natürlichen geographischen Grenzen" wie zum Beispiel der Ural, der Europa von Asien trennt, oder auch die Gewässer zwischen Europa und Kleinasien, die uns z.B. von der Türkei trennen, sind in einer solchen Betrachtung Konstruktionen gesellschaftlicher Ordnung. Schon Georg Simmel hat im Rahmen seiner "Soziologie" vor 100 Jahren festgestellt, dass eine Grenze nicht eine räumliche Tatsache mit sozialer Wirkung ist, sondern ein soziales Phänomen, das sich räumlich formt.

Meine lieben Kolleginnen und Kollegen Vermessungsingenieure: wie oft wurden und werden durch uns Grenzen festgestellt? Und seien wir doch einmal ehrlich, wer hat seine Arbeit schon einmal unter den vorgenannten eher soziologisch-philosophischen Aspekten betrachtet? Vielleicht entwickelt nach dem heutigen Abend ja der eine oder andere ein ganz anderes Verantwortungsgefühl für seine Arbeit.

Ohne Grenzen wäre alles endlos; endlos wie der Weltraum, das Metier unseres heutigen Preisträgers Michael McKay.

Michael McKay: Wir befinden uns in seiner Biographie im Jahre 1984: Er arbeitet als fest angestellter Mitarbeiter der ESA als Systems Design Engineer beim Projekt ERS-1, Europas ersten Remote Sensing Satelliten, mit.

Bestimmt zur detaillierten und präzisen globalen Überwachung von Klima und Umwelt aus dem Weltraum, leitete dieses Programm eine neue Ära zum Verständnis unseres Planeten ein. Michael McKay war an der Entwicklung des Betriebskonzepts des Satelliten beteiligt, sowie der Bodenstation in Nord-Schweden zum Empfang und zur Weiterleitung der Daten. Nach dem erfolgreichen Start von ERS-1 im Jahre 1991 wurde er Leiter des Missionsbetriebs für die ERS-Programme und zeichnete verantwortlich für die Vorbereitungen des ERS-2 Projektes, das 1995 gestartet und parallel mit ERS-1 erfolgreich betrieben wurde.

Aus einer 800 km hohen Umlaufbahn führen diese Satelliten detaillierte globale Messungen über den Zustand der Meere, der Strömungen und der Winde durch, sowie Messungen über die Entwicklung der polaren Eiskappen, des Ozonlochs und der Veränderung der Oberflächentemperatur (übrigens auf ½ Grad Celsius genau). Das System liefert den Meteorologen, Klimaforschern und Endverbrauchern innerhalb von drei Stunden nach den Messungen fertige Produkte. Auf gut Deutsch: Europa ist aufgrund dieser präzisen Messungen in der Lage, seinen Finger auf den Puls unseres Klimas zu legen.

1997 leitete Herr McKay das Mission-Control-Team des Teamsat-Projektes: zwei kleine Satelliten, die von jungen Hochschulabsolventen und Studenten entworfen wurden und die das Kontrollsystem mit den zugehörigen Anlagen in Rekordzeit zusammenstellten. Aufgrund dieses hervorragenden Projektes konnten viele junge Ingenieure wertvolle und intensive Erfahrungen sammeln und profitierten im übrigen von dem Wissen der erfahrenen Weltraumexperten, die dieses Projekt wissenschaftlich begleiteten.

Im direkten Anschluss an Teamsat wurde McKay zum Leiter des Bodensegments für die Mars Express und SMART-1 Missionen ernannt. Er war zuständig für die Entwicklung und die technischen, finanziellen und planmäßigen Aspekte von allem, was auf dem Boden benötigt wird, um diese Mission zu unterstützen.

SMART-1 ist eine von der ESA projektierte Mondsonde. Innovativ - mit diesem Stichwort lassen sich viele der technischen Einrichtungen von SMART-1 beschreiben. Aber natürlich dienen sie nicht nur Selbstzweck technikverliebter Ingenieure. Bei der ESA ist das (nicht) zur Verfügung stehende Geld ein wichtiger Motor dieser Neuentwicklungen gewesen, denn mit Hilfe der an Bord von SMART-1 erstmals zum praktischen Einsatz kommenden Neuerungen sollen zukünftige interplanetare Forschungsmissionen nicht nur leistungsfähiger, sondern auch kostengünstiger werden. Hauptaufgabe von SMART-1 ist u.a. ein Flugtest eines neu entwickelten Ionentriebwerks für die ESA. Star-Trek-Technologie im Einsatz bei der ESA!

Mars Express ist ebenfalls unter dem Druck geringer Kosten bei gleichzeitig effektiver Leistung konzipiert worden. Es war Europas erste Mission zum Mars und sollte ein Landegerät, genannt Beagle, dort absetzen, welches dann nach Anzeichen von Leben auf dem Mars suchen sollte. Eine enorm hohe technische Herausforderung. Obwohl die finanziellen Budgets beider Missionen erheblich reduziert waren, wurden sie dennoch beide in Rekordzeit gebaut und gestartet.
2003 wurde Michael McKay zum Direktor der Flugkontrolle für beide Missionen ernannt und war somit für die Leitung des gesamten Projektbetriebes verantwortlich.

Mars Express ist die erste Mission der ESA zum Roten Planeten. Alle früheren interplanetarischen Missionen mit europäischer Beteiligung geschahen unter der Federführung einer anderen großen Raumfahrtnation: Dies gilt für die Saturnsonde Cassini- Huygens, die derzeit den Saturnmond Titan untersucht und im Januar 2005 dort landen soll, ebenso wie für die leider verunglückte russische Mission Mars 96.

Es handelt sich hier um ein wie ich meine so bedeutendes Projekt, dass ich an dieser Stelle einen Vergleich ziehen möchte: 172 Jahre vor dem Start des Mars Express, im Jahr 1831 betritt Charles Darwin das britische Forschungsschiff Beagle und bricht damit zu einer Reise auf, auf der er Entdeckungen machen soll, die die Welt fundamental verändern. Diese historische Reise Darwins hat zur Entwicklung der modernen Evolutionstheorie geführt.

Im Jahre 2003 also macht sich wieder ein Schiff mit dem gleichen Namen in wenig erforschte Gefilde auf: Das britische Landeraumschiff Beagle 2 sowie sein Mutterschiff Mars Express sind auf dem Weg in Richtung des Roten Planeten. Ihre Mission ist durchaus vergleichbar mit der Darwins: Sie sollen nach Anzeichen von Leben suchen und nach dem Lebenselexier überhaupt: flüssigem Wasser.

Am 2. Juni 2003 startete vom russischen Weltraumbahnhof Baikonur die Sonde Mars Express mit Beagle 2 an Bord ins All und erreichte ihren Bestimmungsort in der Weihnachtsnacht vom 24. zum 25. Dezember. Nahezu zeitgleich sollte der Lander Beagle 2, der am 19. Dezember erfolgreich von der Hauptsonde getrennt wurde, auf der Marsoberfläche weich aufsetzen.
Dem ESOC-Kontrollzentrum in Darmstadt, das als Kommunikationszentrale zwischen Erde und Mars dient, standen damit wohl die aufregendsten Stunden und Minuten seit seiner Gründung 1967 bevor. Für Europa war es das Medienevent überhaupt, durchaus vergleichbar mit der ersten Mondlandung im Jahre 1969.

Das Ergebnis, meine Damen und Herren ist bekannt. Mars Express ist erfolgreich wie kaum eine Sonde zuvor. Die von der hochauflösenden Stereokamera HRSC regelmäßig zur Erde gesendeten Bilder überraschen ständig aufs neue. Beagle 2 jedoch ist verschollen. Angesichts des extrem geringen finanziellen Budgets und des großen Zeitdrucks während der Entwicklungs- und Testphase nicht wirklich überraschend.

Trotz des Verlustes des Landegerätes befindet sich Mars Express Erfolg versprechend auf der Umlaufbahn, und dank seiner umfassenden Anzahl an Instrumenten schickt die Sonde viele wertvolle Messungen der Oberfläche und Atmosphäre des Planeten Mars zurück auf die Erde. Es wurden schon zahlreiche neue Entdeckungen gemacht, u.a. wurde gefrorenes Wasser am Südpol entdeckt sowie Methangas in der Atmosphäre. An drei verschiedenen Stellen am Mars-Äquator wurde gleichzeitig Methan und Wasserdampf nachgewiese - sind das möglicherweise Anzeichen von Leben auf dem Mars?

Während der heißen Phase im Dezember 2003 antwortete Michael McKay in einem Interview auf die Frage, was für ihn der schlimmste denkbare Fall wäre,: "Wenn der Flugdirektor und einige seiner Mitarbeiter nicht rechtzeitig von Frankfurt/Main nach Darmstadt kommen, weil der Zug ausfällt." Mir persönlich drängt sich da sofort die Frage auf , ob man sich auf die Deutsche Bahn verlassen sollte, wenn man den Mars pünktlich erreichen will; aber natürlich haben die ESA-Ingenieure auch diesen Fall im Vorfeld durchgespielt.

Meine Damen und Herren, Ingenieure erbringen technische Höchstleistungen bei der Bewältigung schwierigster Probleme und oft unter außerordentlichem Termindruck und meistens ohne großes Aufheben. Das löst dann bei der Übergabe oder Inbetriebnahme der Werke Staunen und Bewunderung aus, die allerdings kurz darauf auch bald vergessen sind. Solche Leistungen nimmt die Gesellschaft zwischenzeitlich als selbstverständlich hin. Die Meldungen vom Mars erscheinen heute kaum noch von großem Interesse, es sei denn, Mars Express meldet den Kontakt mit kleinen grünen Männchen.

Die uns gestellten Aufgaben sehen wir Ingenieure in der Regel als Beiträge zur Förderung und Stützung des Gemeinwohls, und insofern fühlen wir uns durchaus berufen und prädestiniert, in Bereichen, in denen etwas konkret gestaltet oder geschaffen werden muss, eine Führungsrolle zu übernehmen.

Eigentlich eine zufrieden stellende Sicht - und der geeignete Zeitpunkt, meine Ausführungen zu beenden, denn damit wäre unsere Welt eigentlich in Ordnung.

Wenn, ja wenn wir nicht aus dem insbesondere uns Vermessungsingenieuren eigenen Perfektionismus noch erörtern müssten, wie und vor allem warum die Gesellschaft uns so sieht, wie sie uns sieht; denn andere Disziplinen, wie z.B. Juristen, machen uns diese Führungsrolle Rolle - oft erfolgreich - streitig. Das verunsichert und erbost uns manchmal, zumal diese Leute aus unserer Sicht für solche Aufgaben doch eigentlich nicht hinreichend qualifiziert sind.

Ich möchte hier eine Anleihe bei Thomas Mann aus seinem Roman »Der Zauberberg« machen. Hans Castorp, der Held des Romans, besucht seinen Vetter in einem Sanatorium, dem Schauplatz der Erzählung. Er wird dort einem der Ärzte vorgestellt: Dr. Krolowski, der ihn fragt. "was für ein Examen haben Sie abgelegt, wenn die Frage erlaubt ist?" "Ich bin Ingenieur, Herr Doktor", antwortete Hans Castorp mit bescheidener Würde. "Ah, Ingenieur!" Und Dr. Krolowskis Lächeln zog sich gleichsam zurück, büßte an Kraft und an Herzlichkeit für den Augenblick etwas ein. "Das ist ja wacker".

Kürzer und treffender kann die Sicht der Gesellschaft auf die Ingenieure nicht beschrieben werden. Thomas Mann hat seinen Zauberberg 1924 vollendet. Die Szene könnte sich aber heute jederzeit wiederholen.
Der tiefe Graben zwischen Ingenieuren und den übrigen Mitgliedern der Gesellschaft war allerdings schon damals nicht neu. Bereits vor 1900, als die Ingenieure sich als Akademiker zu etablieren begannen, war diese Distanz zu verzeichnen. Über die Ursachen gibt es viele Erklärungsversuche.

Schon bei der Einrichtung der technischen Ausbildung kam es zu Widerständen bei den führenden Geisteswissenschaften, den Theologen, Philosophen, Medizinern und Rechtsgelehrten, die in der klassischen humanistischen Bildung den Schwerpunkt einer qualifizierten Bildung und Ausbildung sahen.

Der Technik wurde nur eine dienende und im Sinne der Geisteswissenschaften nicht schöpferische Rolle zugeschrieben. Abgesehen von dem damals wie heute durchaus üblichen Standesdünkel mag dabei eine Rolle gespielt haben, dass Ingenieure ihre Wurzeln im Handwerkerstand hatten, auch wenn sie große Techniker und Künstler waren. Aber auch die Künstler hatten einen zweifelhaften Ruf.

Wenn Ingenieure erstaunliche Leistungen zutage fördern, handelt es sich auch heute noch aus der Sicht der Geisteswissenschaftler eigentlich um die mehr oder minder mutige Anwendung von bekanntem Wissen und Regeln.

Diese geringe Wertschätzung der Ingenieure dürfte aber auch auf ein Gefühl der Unbehaglichkeit zurückzuführen sein. Beschäftigten sich die Ingenieure doch mit einer Materie, die in ihrer strengen Logik und Bestimmtheit es vielen schwer macht, darin einzudringen. Und so lag und liegt nahe, dieses Unvermögen mit Überheblichkeit und Abgrenzung zu kompensieren - eine Haltung, die auch heute anzutreffen ist, wenn sich Menschen öffentlich rühmen, von Technik keine Ahnung zu haben, obwohl sie ohne Technik nicht existieren würden. So manches Mal kommt einem dabei ein boshaftes Zitat von Albert Einstein in den Sinn, der mit folgendem Ausspruch zitiert wird: "Schämen sollten sich die Menschen, die gedankenlos sich der Wunder der Wissenschaft und Technik bedienen und nicht mehr davon erfasst haben, als die Kuh von der Botanik der Pflanzen, welche sie mit Wohlbehagen frisst."

Eines ist allerdings bemerkenswert. Diese gesellschaftliche Trennung von Ingenieuren und der übrigen Gesellschaft ist ein Luxus, den nur wir Deutschen uns in solcher Schärfe leisten. Wir brauchen nur in alle Richtungen über unsere Grenzen zu schauen, um festzustellen, dass unsere Nachbarn einen viel unbefangeneren Umgang mit ihren Ingenieuren pflegen.

Das Land der Dichter und Denker aber setzt anscheinend andere Prioritäten; selbst in wirtschaftlich schweren Zeiten. Es ist an uns, meine sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen, das zu ändern. Was unternehmen wir Ingenieure eigentlich in dieser Situation? Wir beklagen die geringe Wertschätzung, aber unternehmen wir konkret etwas oder ziehen wir uns nicht lieber verbittert in unsere Welt der Technik zurück?

Es ist ein bemerkenswertes Phänomen, dass wir Ingenieure in der Selbstdarstellung in der Öffentlichkeit so wenig erfolgreich sind. Liegt es daran, dass die Öffentlichkeit uns einfach nicht versteht? Wir sprechen unsere Fachsprache, die präzise und klar Sachverhalte beschreibt, dem Laien aber offensichtlich wenig Anschauliches oder Nachvollziehbares vermittelt.
Wenn wir Menschen für unser Tun begeistern und Ihnen damit Achtung vor unseren Leistungen vermitteln wollen, müssen wir das in deren Sprache tun.

Wir sind also, wenn ich in der Biographie unseres Preisträgers fortfahren darf, technisch gesehen bereits auf dem Mars; die grünen Männchen werden zwar noch auf sich warten lassen, und wenn die Ingenieure und Techniker dann außerirdisches Leben nachgewiesen haben, werden sich als erstes die Nichttechniker, Philosophen und Juristen um Erklärungsversuche bemühen. Ob sie allerdings die Sprache der grünen Männchen verstehen, wage ich zu bezweifeln. Vielleicht haben sie dann das gleiche Problem, wie wir Ingenieure mit der Öffentlichkeit...

Was also hat Michael McKay an dieser Arbeit gereizt, wo ist sein Antrieb? Ich habe anfangs einen kleinen Exkurs zu den Grenzen gemacht. Lassen Sie mich noch einmal kurz darauf zurückkommen: Grenzziehungen bedingen Grenzübertretungen, denn, wie der Schriftsteller Michel Foucault es formulierte, eine Grenze, die nicht überschritten wird, ist nicht existent. Sie wird erst durch die Erfahrung des Anderen real und wahrnehmbar. Dieses Andere ist dabei nicht immer das unberechenbare Fremde, das Angst einflößt. Es kann auch das Exotische, das spannende Andere sein, das Anziehungskraft ausübt.

Für Michael McKay ist es sicherlich der Traum, Neues zu entdecken, Grenzen immer weiter hinauszuschieben. Die Frage nach seiner Motivation hat er einem in einem Interview einmal so beantwortet: "Es ist die Möglichkeit, mit einem fantastischen Team zusammenzuarbeiten. Darauf bin ich sehr stolz. Die Suche nach Leben auf dem Mars berührt das Selbstverständnis der Menschheit und unseres Platzes in der Welt: Ist die Erde wirklich der einzige Ort im Universum, der Leben ermöglicht?"

Meine Damen und Herren, sollte diese Frage eines Tages geklärt werden, so ist Michael McKay hieran maßgeblich beteiligt.
Wenn ich sein Lebensmotto in einem Satz zusammenfassen müsste, so würde ich es so ausdrücken: Die Zukunft erkennt man nicht, sondern man schafft sie.

Sehr geehrter Herr McKay, der VDV ist sehr stolz darauf, Ihnen heute seine höchste Ehrung zu überreichen: Das Goldene Lot 2004.